Goethe, Lord Byron und Thomas Mann haben Bücher geschrieben und keine Serien … es hat eine Weile gedauert, bis ich begriff, dass die Idee der Serie ein geradezu konstitutives Element des Krimi-Genre sein soll. Laut Laura Lippman hat erst Dennis Lehanes „Mystic River“ den Kollegen gezeigt, welches Potential im Einzelbuch („stand alone“) steckt und einen entsprechenden Boom ausgelöst. Ich halte diese Aussage für so nicht ganz richtig. Aber wie auch immer, Tatsache ist, dass die Einzelbücher in den letzten zehn Jahren einen enormen Aufschwung erlebt haben.
Dennoch scheinen heutzutage viele Leser beim Krimi das serielle Motiv immer noch als selbstverständlich und wichtig zu erachten – laut Christiana Gregoriou soll das daran liegen, dass die Leser immer wieder die gleiche, vertraute Geschichte lesen möchten.
Nun, wie dem auch sei. Da erhalten dann Leser auf dem Leserforum der Krimicouch den Hinweis, dass sie unbedingt bei Ian Rankins ersten Buch anfangen müssten oder dass es kein Wunder sei, dass ihnen ein x beliebiges Buch von Karin Slaughter nicht gefiele, da sie ja nicht die gesamte Entwicklung der Charaktäre mitverfolgt hätte.
Ich weiß nicht ! Wer tut denn das … freiwillig … 9 Bücher lesen, um beurteilen zu können, um das zehnte etwas taugt ? Für einen Autoren ist das ja schon fast die Lizenz zum Gelddrucken. Nein, kann eigentlich nicht sein. Ein Autor der etwas taugt, muss mit wenigen Worten die Elemente der Vergangenheit heraufbeschwören können, die für die aktuelle Geschichte wichtig sind.
Und Lippman merkte in dem oben zitierten Interview noch eine andere Tatsache an – trivial eigentlich: Autor wachsen und gewinnen an Erfahrung; mitunter haben sie irgendwann in einer Serie einen „Durchbruch“. Als Beispiel nennt sie Jan Burkes „Bones“ (deutsch: Grabesstille), Peter Robinsons „In a Dry Season“ (deutsch: In einem heißen Sommer) und Robert Crais „LA-Requiem“ (deutsch: Stunde der Rache). Lippmans eigener „Durchbruch“ fand außerhalb ihrer Serie um Tess Monaghan statt, aber wer By a Spider’s Thread mit den früheren Büchern der Serie vergleicht, dem gehen Augen und Ohren über.
Keine Frage: Es macht wenig Sinn, sich durch die früheren Werke zu „quälen“, nur um herauszufinden, ob die genannten Bücher gefallen. Muss man auch nicht, denn diese Bücher sind nicht von „Gelddruckern“ sondern von guten Autoren geschrieben worden.
Nächste Woche: Warum manche Serien mich „Serienhasser“ beeindrucken.
bernd
Zwei Zitate aus deinem Text zur Belegung einer falschen Schlußfolgerung:
„Da erhalten dann Leser auf dem Leserforum der Krimicouch den Hinweis, dass sie unbedingt bei Ian Rankins ersten Buch anfangen müssten“
„Ich weiß nicht ! Wer tut denn das … freiwillig … 9 Bücher lesen, um beurteilen zu können, um das zehnte etwas taugt ?“
Ich habe selbst derartiges auf der KC empfohlen. Dies tun die Forumsbenutzer nicht, weil es vonnöten ist, um den zehnten Band zu verstehen. Der nach einer neuen Serie Suchende hat einfach mehr von der Vielfalt des 10. Bandes, wenn er die „Vergangenheit“ versteht. Das der Roman für sich alleine gut sein muß, versteht sich für den Fragenden wie für den Antwortenden von selbst -zumindest bei den anspruchsvollen Serien … Aber in der Regel wollen die Fragenden eine ganze Serie lesen, da ist es schon banal, auf die richtige Reihenfolge verweisen zu müssen. Dies sollte nicht in die Richtung überinterpretiert werden, das Serienautoren und Serienleser keinen Qualitätsanspruch haben…
Lieber Lupo,
wenn ich mich recht erinnere (es gibt da sicher auch mehrere Beiträge auf der Krimicouch) war der/die Fragende unbeleckt und wollte wissen, welches denn ein gutes Buch aus der Rebus-Serie sei, um einen Endruck von ihr zu gewinnen.
Das erste um dann alle in der richtigen Reihenfolge lesen zu können, halte ich in diesem Zusammenhang für keinen guten Rat. Weil das Buch unter Umständen nicht so stark ist, einen Leser überhaupt zu fesseln.
Und wenn Du meine neueren Bemerkungen zum Thema vom letzten Montag gelesen hast, weißt Du, dass auch ich Serien lese. Ich mach allerdings kein Dogma draus, bei Rankin zum Beispiel lese ich kreuz und quer und sicher nicht alle – ich habe nie denn ganz guten Zugang gefunden, obwohl, das gebe ich zu, „The Falls“ (deutsch: Puppenspiel) schon gut ist.
Es geht einem ja sicher so, dass man davon ausgeht, dass Bücher die einem gut gefallen, bei anderen auch gut ankommen. Bei Ken Bruen würde ich sicher bei der Jack Taylor-Serie auch auf das erste Buch verweisen.
man soll ja keine Eulen nach Athen tragen, aber wer weiß:
DeMarr, Mary J. (ed.): In the Beginning. First Novels in Mystery Series, Bowling Green, Oh. 1995. (Google hat eingeschränkte Vorschau: mindestens die Einleitung)
Beste Grüße!
„Synopsis
Contains 14 essays, written by academics specializing in mystery and detective fiction, which analyze the ways in which the opening books of series do or do not create patterns followed in succeeding novels. Mystery writer include Agatha Christie, Dorothy L. Sayers, James McClure, P.D. James, and Rex Stout, as well as many less well-known authors.“
Ja, so sehe ich das auch (meine Hervorhebung, Text von Amazon.de).
Vielen Dank und beste Grüße
bernd
Eco hat sich mehrfach mit Serialität in der populären Kultur beschäftigt, z. B. „Serialität im Universum der Kunst und der Massenmedien“. In: Im Labyrinth der Vernunft. Texte über Kunst und Zeichen, hg. von Michael Franz und Stefan Richter, Reclam-Bibliothek 1547. Und in der Serienkiller-Debatte wird die Grenze zwischen serieller Produktion von Kunst und von Leichen von Anfang an überschritten: Ressler berichtet, er habe das — seinerzeit als neu empfundene — Phänomen der Mehrfachtötung ‚1 Täter + viele Leichen + langer Zeitraum‘ als Serial Murder bezeichnet nach den Serials im Kino. Danach kamen dann ziemlich schnell Bezüge zu Warhols Campbell-Dosen u. dgl. auf.
Beste Grüße!