Am besten ignorieren, so lautet andernorts der Vorschlag, sollten man die neuesten Tiraden Thomas Wörtches. Im Grunde ein guter Vorschlag, nur erfährt man so nie, wie dieser erfahrene Mann die Entwicklung des Krimigenres in Deutschland und derer, die mit ihm befasst sind, beurteilt.
Eigentlich enthält sein Text wenig Neues, so in etwas haben wir das schon letztes Jahr gehabt. Interessant ist, was sich zwischen den Zeilen findet. Wörtche hat den totalen Durchblick und ist frustriert darüber, dass er scheinbar so ziemlich der Einzige ist, der das weiß.
Alles ist, mit Verlaub, Scheiße: Die meisten Krimis, die Arbeit der Verlage, die im Internet dominierenden Vermittler und ja wohl auch die Auswahl an Büchern, die von den Lesern getroffen wird.
Die meisten Krimis sind halt jammervoll und schauderhaft schlecht, aber das ist nun mal so, wenn man über menschliche Hervorbringungen spricht…
Das ist anti…
Antidemokratisch, antifortschrittlich, …, Antirealität.
Mir ist wirklich nicht klar, warum ich den Buchempfehlungen von jemanden folgen sollte, der sich offensichtlich so wenig in andere hineinversetzt und so sehr lediglich von seiner Warte aus die Welt (laut pöbelnd) betrachtet – was, wenn der Bücher genauso liest ?
[…] bleibt anderes auf der Strecke – nämlich eine Ästhetik des Kriminalromans, die irgendwie in der Lage sein könnte, zu verstören, Chaos und Entsetzen, in der Tat Jammervolles und Schauderhaftes anzurichten und vor allem: endlich mal wieder die Grenzen des angeblich guten Geschmacks einzureißen und die allzu selbstgefälligen Sinnstiftungen mit ein paar literarischen Sprengladungen zu sabotieren.
Durchaus ein Programm, dem ich etwas abgewinnen könnte. Was die Sinnstiftung angeht, liefert der wache Blick in die Tagespresse häufig ähnliche Resultate. Vor allen Dingen scheint es mir so, dass man dafür noch nicht einmal das Genre neu erfinden müsste. Der von Wörtche verachtete Mainstream kann gelegentlich die Sinnstiftung auch ganz schön durcheinander bringen. Und schon diese Bücher finden kaum die Aufmerksamkeit der Leser. Anlässlich der Diskussion zur Frage „Why Scandinavians Really Write the Best Crime Novels“ (etwas, das ich bezweifele), schrieb Barbara Fister zur Situation des Krimis in den USA:
Bernd, a lot of US crime fiction (especially the most popular titles) do the opposite of examine society, imo. They invent entirely mythic situations in which heroic officials with extraordinary science and total dedication battle very peculiar deviants. If they comment on society at all, it’s to affirm that the authorities will take good care of us and that social problems have nothing at all to do with crime, which is committed by bad well-to-do mostly white people against good well-to-do mostly white people.
Nun wollen ja die meisten Menschen nur mehr oder weniger häufig ein befriedigendes Buch lesen, gar nicht so leicht also schon das. In meiner Jugend, als ich anfing Krimis zu lesen, waren zum Glück meine Ansprüche geringer, zudem hatte ich auch keine Probleme in das gut bestückte Antiquariat zu gehen, wo es für eine Mark pro Stück Taschenbücher gab und mir 40 oder 50 Bücher auf einmal zu kaufen. Ansonsten war es ausgesprochen schwierig sich mit anderen auszutauschen oder gar verlässliche Infos über interessante Autoren zu finden. Man nahm halt, was die Buchhandlungen anboten.
Das Internet und solche Foren wie die Krimicouch wirken deshalb wie Gottesgeschenke, im englischsprachigen Raum gibt es ebenso, etwas anarchischer als bei uns, aber sehr lebendig und auf häufig auf hohem Niveau ebenso einige Foren (z.B. -> hier, -> hier und -> hier).
Besonders perfide ist, dass Wörtche all denen die an derartigen „menschliche Hervorbringungen“ mitwirken, den Willen abstreitet, innerhalb ihrer Möglichkeiten und Interessen, die sich eben deutlich von denen Wörtches unterscheiden, ordentliche Bücher mit entsprechenden Qualitätsansprüchen lesen zu wollen.
Wie erklären, was eigentlich trivial ist ? Vielleicht mit dem Hinweis, dass in die ZEIT bei seriösen professionellen Weinverkostungen die Weine anschließend auch danach bewertet wurden, wie süffig sie sind – die Weine blieben beim folgenden gemütlichen Beisammensein auf dem Tisch und jeder konnte frei auswählen – und siehe da: Die so getrunkenen Weine waren nicht immer die in der Blindverkostung am höchsten bewerteten.
Die meisten Menschen, die da im Internet aktiv sind, wollen sich nun genau mit diesen „Weinen“ beschäftigen. Aber, mein Eindruck, sie machen das ernsthaft und keinesfalls brotdumm.
Interessant ist ja, dass Wörtche sich mit dem antidemokratischen Gehetze eines Adam Soboczynski gemein macht. Jener hatte in der ZEIT darüber gegreint, dass die Intellektuellen im Netz ständig abgewatscht würden und die nicht-Intellektuellen sich nicht die Mühe machten, sich mit schwierigen Texten und Inhalten auseinander zu setzen – mich erinnert das an das Gejammere eines Einserschülers, den sie in der Schule, ob seiner Arroganz traktierten und der übersieht, dass die Mehrheit der Einerschüler besser durch die Schule gekommen ist.
Jedem, der wachen Auges durch das Internet streift, ist die antiintellektuelle Hetze in den Kommentaren vertraut, die sich gegen angeblich Sperriges richtet, gegen kühne Gedanken, gegen Bildung überhaupt. […] Nicht den Hauch einer Berechtigung hat die Hoffnung, noch auf Leser zu stoßen, die – vielleicht gar leicht verschämt – Unverstandenes als Antrieb begreifen, ihre Bildungs- und Konzentrationssdefizite zu beheben.
Natürlich gibt es viele Angebote im Netz, die nicht so sehr beeindrucken, aber die gibt es überall im Leben, der pauschale Anwurf ist meiner Erfahrung nach verkehrt und zeugt nicht gerade von intellektueller Größe. Vermutlich ist es einfach so, dass für manche die Trauben einfach zu hoch hängen.
bernd
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