In der Serie über die diesjährigen Kandidaten für die Edgar Awards, schaue ich mir zum Schluss die Bücher an, die für die Kategorie „Bestes Buch“ des Edgars nominiert sind, also:
Bezogen auf den Anspruch, bin ich ein wenig enttäuscht. Natürlich war keines der Bücher wirklich schlecht. Die Liste besitzt so eine Aura von gediegener Qualität,aber nur einige Bücher sind wirklich so gut, wie man es erwarteten sollte .
Der humorvoll hintersinnige Krimi ist durch Curse of the Spellmans würdig vertreten. Izzy, die Protagonistin des Buches wirkt immer noch wie ein widerspenstiges Kind, innerhalb des Familienverbandes ist sie diejenige, die dank ihrer anarchischen Persönlichkeit durch gelegentliche Erschütterungen dessen Erstarrung verhindert. Izzy ist misstrauisch und neugierig und so hat sie dann innerhalb weniger Seiten einige Fälle am Hals, die es zu lösen gilt. Die Mutter schleicht nachts aus dem Haus, der Vater neigt zu eigentümlichen Attacken von sportlicher Aktivität, die kleinere Schwester … usw usf. Insbesondere der neue Nachbar ist Objekt ihrer paranoiden Aufmerksamkeit. Was an diesem Buch beeindruckt, ist die Leichtigkeit, die der Text ausstrahlt. Dabei ist er sorgsam konstruiert, da geht es gerade am Anfang wüst in der zeitlichen Ebene hin und her und auch die diversen Stränge wollen gekonnt miteinander verknotet werden. Lutz reiht eine witzige Erläuterung an die nächste, ist eine feine Beobachterin der kleinen menschlichen Schwächen und kann sich auch selber auf die Schippe nehmen.
Den literarisch schwergewichtigen Krimi verkörpert The Night Following, welches die Geschichte einer Frau erzählt, die eine andere über’n Haufen fährt. In der Folge verliert sie, ebenso wie der Witwer ihre Ordnung im Leben und so langsam stürzen die beiden aufeinander zu. Es ist nicht nur ein mutiges, modern innovatives Buch, es ist auch ein Buch, das genau das darstellt, was es darstellen will und zwar konsequent und gelungen. The Night Following ist ein Buch, welches insbesondere den Kopf anspricht, was an der aufwändigen Sprache der Icherzählerin liegt, die reflektiv-introspektiv und mit selten verwendeten Wörtern und langen Sätzen den Weg der Frau aus der Gesellschaft kühl darstellt. Und natürlich fällt es Joss leicht, den Personen jeweils unterschiedliche Stimmen zuzuweisen, sei es die nüchterne des naturwissenschaftlich ausgebildeten Ehemannes oder die der Toten als suchende „Literatin“. Die Atmosphäre ist leicht düster, geheimnisvoll, aber nicht besonders spannend, das Ende scheint vorhersehbar.
Den klassischen Krimi mit Privatdetektiv repräsentiert The Price of Blood (The Dying Breed) von Declan Hughes. Ed Loy soll ein Kind suchen und muss sich in der Folge mit der Familie der Tyrrells auseinander setzen. Es ist ein Buch, welches diese Familie nimmt und ihr Inneres, ihre Funktionsweise bloß legt, aber es zielt darüber hinaus auf eine Darstellung der modernen irischen Tigergesellschaft. Es ist sehr zurückhaltend, mit starken Dialogen erzählt. Zum Schluss zeigt dann Hughes auch noch, dass er Ambitionen hat und dass er diese wohl erfolgreich zu Papier bringen könnte. Denn üblicherweise sind die Bücher in der ersten Person aus der Sicht Ed Loys geschrieben, das ist zwar bei Hughes keine ganz unmittelbare und intime Angelegenheit, dennoch hockt man Ed Loy natürlich relativ eng auf der Pelle. Für die obligate Auflösung wechselt Hughes nun in zwei Kapiteln kurz vor Schluss in die dritte Person und die Leser begeben sich zum Täter, aus dessen Sicht die Vorgeschichte dargestellt wird. Die Art und Weise wie das erzählt wird, offenbart großes handwerkliches Geschick.
Blue Heaven von C.J. Box ist ein Buch über die klassischen amerikanischen Tugenden (oder das was man dort dafür hält). Zwei Kinder beobachten drei Männer, wie diese einen vierten töten. Sie werden ihrerseits von den Männern gesehen und müssen vor ihnen flüchten. Der lokale Sheriff ist neu und entsprechend unerfahren, da die Täter pensionierte Polizisten aus Los Angeles sind, können sie ihn davon überzeugen, dass ihre Erfahrung helfen kann, die im Ort vermissten Kinder zu finden. Es ist ein Buch über den Wandel der Zeit. Reiche Kalifornier, die sich auf’s Alteinteil zurückziehen, dringen ein nach Nord-Idaho, sie können die Hinterwäldler dort so wenig leiden, wie diese sie. Es ist ein Thriller mit einer starke Westernanmutung und einem etwas klischeehaften Ende. Diese Polizisten, die den braven Sheriff glauben lassen, dass sie Gutes vollbringen wollen, mag man allerdings als Metapher für die Bushmenschen halten, die die USA für sich und ihre Sache in Beschlag nahmen und doch so viel Lähmung über das Land brachten.
Missing (deutsch: Die Flüchtige) von Karin Alvtegen ist dagegen mehr der archetypische psychologisch motivierte Thriller. Sibylla Forsenström ist eine Tochter aus guten Hause, doch seit Jahren schon ist sie als Pennerin unterwegs. Als sie durch eine Verkettung von unglücklichen Umständen mit einem Mord in Zusammenhang gebracht wird, macht sich das gesamte Land auf sie zu hetzen. Die Flüchtige ist ein feines Buch, einfühlsam erzählt, geschickt inszeniert und durchaus, wenn man so will, mit Mehrwert, denn es fragt den Leser angesichts der Verhalten der Bürgerlichen gegenüber den Bewohnern der Straße: „Et tu, Brute“.
Ein wenig Extravaganz ins Feld der Nomninierten bringt The Sins of the Assassin von Robert Ferrigno. Das Buch tranportiert uns ins Jahr 2040, die USA sind längs zweigeteilt und auf ihrem Boden sind zwei religiös motivierte Staaten entstanden, einer christlich, der andere muslimisch. Rakkim Epps, die Hauptfigur des ersten Buches ist muslimischer Schattenkrieger, also jemand der sich in einem feindlichen Land aufhalten kann ohne dort aufzufallen. Er wird in den Bible Belt, dem christlichen Staat geschickt, um dort Grabungen in einem Bergbaugebiet unter die Lupe zu nehmen. Er reist nun allerdings nicht allein, sondern hat Leo, einen Hightech-Nerd bei sich, einer der kaum den Kindesbeinen entwachsen ist und dessen natürliche mathematische Intelligenz durch Implantate verstärkt wurde. Es ist auch eine Welt, der man ansieht, dass sie in die Klimakatastrophe ‚reinschlittert und das wird nun gar nicht sensationell aufgeplustert, sondern kommt nüchtern über viele kleine Konsequenzen zum Vorschein. Letztlich präsentiert Ferrigno einen ganzen Strauss von Genres und Stilen, wie Spionagekrimi, Hightechthriller, Zukunftswarnung, ein wenig Horror und auch impressionistische Szenen und macht ein geschlossenes Ganzes draus.
Sollte der US-amerikanische Patriotismus die Jury dominieren, dann wird Blue Heaven den Edgar gewinnen, im Vergleich der psychologisch motivierten Bücher ist The Night Following das herausragendere Buch, den Mut zu The Curse of the Spellmans traue ich keiner Jury der Welt zu. Die beiden verbleibenden Bücher hätten es beide verdient: The Price of Blood ist unauffällig wegweisend und Sins of the Assassin ein komplexes, facettenreiches und gelungenes Buch.
bernd
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