Die Werbung des Eichbornverlags verwendet einige Zitate zu Jan Costin Wagner, welche auf die ein oder andere Weise unterschiedliche Aspekte des Stils Wagners korrekt beschreiben. Von allen den Zitaten ist „Better Than Mankell“ vermutlich sogar das verkaufsfördernde.
Mein Gott, der Satz ist wahr, ja – ist ja auch nicht schwer. Was aber Wagner mit Mankell zu tun haben soll, erschließt sich mir nicht. In Im Winter der Löwen sind einfach Szenen, die hätte Mankell zerdehnt und dem Leser bis ins kleinste Innerer zerbeschrieben.
Er stand eine Weile vor Sannas Grab, ohne etwas Bestimmtes zu denken. Dann nahm er das Kerzenlicht aus seinem Rucksack, zündete es an und stellte es behutsam ins Zentrum der Grabfläche. Er starrte auf das Licht, bis es vor seinen Augen zu verschwimmen begann, dann riss er sich los und ging.
Alles fängt an einem ruhigen Weihnachtsabend in Turku an, an dem Kimmo Joentaa alleine mit sich und seinen Gedanken an seine vor drei Jahren verstorbene Frau (und vielleicht einer Flasche Vodka) sein wollte. Erst taucht eine junge Frau bei ihm auf, die auf der Polizeiwache noch eine Vergewaltigungsanzeige aufnehmen lassen wollte, später taucht auch noch ein Kollege auf, der mit seiner Spielsucht nicht mehr klar kommt. Dann wird am Morgen die Leiche des Gerichtsmediziners gefunden, und bald darauf im fernen Helsinki die Leiche eines Puppenmachers, der Leichen für Film und Fernsehen herstellt. Wenig verbindet die beiden Verstorbenen, außer dass sie vor einer Weile gemeinsam in einer Talkshow auftaten und sich (und das Publikum) prächtig unterhielten. Und als auch wenig später der Talkmaster nur knapp einem Anschlag entgeht, scheint der Polizei um Joentaa klar, in welcher Richtung sie suchen müssen.
Wagners Welt wird von recht sensiblen Menschen bevölkert, die die Reaktionen und Gefühle anderer recht gut wahrnehmen und deuten können. Auch der ruhige stille Joentaa ist so ein Mensch. Wenn es denn einen Detektiv gibt, an den Joentaa erinnert, dann ist es Fred Vargas‘ Jean-Baptiste Adamsberg. Beide folgen mehr ihren Bauchgefühlen, mehr noch als Adamsberg kann zwar Joentaa auch „seriöse“ Polizeiarbeit leisten, aber Eingebungen, die er nicht begründen kann, können auf seine Kollegen immer zukommen.
Es sind gerade auch die kleinen Figuren die Wagner gekonnt charakterisiert, ohne sie totzuquatschen. Hämäläinen, der Fernsehmoderator zum Beispiel, der den Anschlag überlebt hat und nun über sein Leben und seine Sendung sinniert – laut schmatzend hätte Mankell vor uns gestanden und uns dessen Welt vorgekaut, bis wir den Brei auch zahnlos noch hätten aufnehmen können.
Das Leben und in diesem Buch insbesondere der Verlust eines geliebten Menschen, schlagen tiefe Wunden in die Seelen der Menschen, Wagners Buch ist eine Annäherung an diese Wunden, an die kleinen wie die großen. Der Reiz des Buches liegt gerade auch darin, dass Wagner sich diesem Thema von verschiedenen Richtungen und Blickwinkeln nähert, Raum lässt für Deutungen und darüber hinaus aber nie vergisst, eine Geschichte zu erzählen.
bernd
PS. Aber kann nicht mal jemand Wagner und dessen Lektor sagen, dass Verletzte nicht auf einer Bahre liegen. Immer wenn das Wort Bahre im Text auftauchte, entdeckte ich eine „Angst“ in mir, die erst wich, wenn ich die verstanden hatte, ob derjenenige der dort „bahrte“, lebte oder tot war. Das ist einem ansonsten so guten Text wie dem von Im Winter der Löwen nicht gerade dienlich.
aber, lieber Bernd, Ihr Problem bliebe erhalten, denn der Tote, der nicht beispielsweise in einem Leichensack vom Tatort abtransportiert, sondern offen weggetragen würde, läge auch auf einer Trage, bis er dann entweder auf den Tisch des Obduzenten oder eben auf die Bahre in der Leichenkammer käme. Aufbahren bezeichnet den endgültigen Stillstand auf der Bahre. Man kann zwar auf-, aber nicht wegbahren. Wenn man den, der auf der Bahre liegt, etwa mit derselben wegtragen wollte, dann beginge man womöglich eine Störung der Totenruhe (vulgo Leichenschändung) oder einen Diebstahl oder vielleicht auch eine Gebrauchsentwendung (und das jeweils noch in Ideal- oder Realkonkurrenz).
In diesem Sinne: beste Grüße!
Lieber JL,
das habe ich so gelehrt, 5. Semester, Notfallkurs: Die Bahre ist für Tote. Bei Wagner liegen Tote und Verletzte auf der Bahre und werden umher getragen. Das Objekt zum Tragen von Toten wird allerdings auch Bahre genannt.
Auszug aus dem Wahrig:
Auf einer Bahre werden tote Menschen transportiert. Im täglichen Sprachgebrauch wird Bahre allerdings oftmals als Synonym für Trage verwendet. Dies sollte vermieden werden, denn das Wort Bahre verbindet sich nach dem Verständnis vieler Menschen eindeutig mit dem Tod.
So ist etwa die Redewendung von der Wiege bis zur Bahre ein Sinnbild für das mit der Geburt beginnende und mit dem Tod endende Leben eines Menschen. Eine Leiche aufbahren bedeutet demgemäß, dass diese geschmückt und gekleidet auf eine Bahre gelegt wird, damit die Trauernden sich symbolisch verabschieden können. Mit einer Trage erfolgt ausschließlich die Beförderung von Kranken und Verletzten.
Vor diesem Hintergrund sollte auch der beide Wörter miteinander verbindende umgangssprachliche Ausdruck Tragbahre nicht als Synonym für Trage verwendet werden.
nun gut: dann halt Wahrig und die Tragbahre (aus der freilich so wenig wie aus der Bahre ein Verb gemacht werden kann, außer vielleicht von Arno Schmidt et cons.). Wobei’s in Krimifilmen mir immer schrullig erscheint, wenn die Leichen von Sanis auf deren Tragen abtransportiert werden, womöglich noch im Sanka — welches Gerät (und womöglich Personal) dann für den Rest des Tages zur Desinfektion muß.
Das mit dem Transport (und der Lagerung) ist in der Tat aus hygienischen Gründen spannend. Nach Bestattungsrecht dürfen in der Tat nicht einfach Leichen transportieren werden, sondern müssen „hierfür besonders ausgestattete Leichenfahrzeugen“ verwendet werden.
[…] 2. Jan Costin Wagner – Im Winter des Löwen […]
[…] 10. Jan Costin Wagner – Im Winter des Löwen […]