So wie ich die Bücher einschätze, die ich dieses Jahr noch lesen werde, wird keines mehr darunter sein, welches zu den allerbesten des Jahres gehören wird. Zeit also sich einen Überblick über die gelesenen Bücher des Jahres 2007 zu verschaffen. Ich hatte Glück: Gute Bücher habe ich viele gelesen, packende, mich nachhaltig beschäftigende einige. Zwölf besondere sollen im Folgenden herausgehoben werden. Mit dabei ein Ire , überraschenderweise vier Briten und ein Argentinier; zwei der Bücher sind älter. Insgesamt sieben der Bücher sind oder werden ins Deutsche übersetzt und die Aufzählung erfolgt streng alphabetisch: Hard Man steht also nicht oben.
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1. Ken Bruen, The Magdalen Martyrs: Es ist ein Buch über den Fluch der Erkenntnis, mit dem die Menschen gesegnet sind und die es dem Protagonisten, Jack Taylor (dem Sisyphus der Schuld) überhaupt erst ermöglicht, die Schuld für alles „Übel“ bei sich zu finden. Die Bücher aus der Serie um Taylor werden nicht nur einfach besser, sondern, so will es mir scheinen, sie wachsen zusammen, wie es die Bücher einer Serie nur selten tun. Und mit diesem Buch meine ich zu erkennen, dass Bruen nicht nur ein eigenständiger, begnadeter und zuweilen komischer Autor ist, sondern dass hier jemand die Grenzen des Genres auslotet, wie es nur wenige tun. |
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2. Jan Burke, Bloodlines (deutsch: Totenruhe): Bloodlines ist ein episches Werk, das eine Geschichte erzählt, die über sieben Jahrzehnte reicht. Das ursprüngliche Verbrechen wird mit wechselnden Personen, neuen Informationen und zunehmender Kriminaltechnik immer wieder aus anderen Blickwinkeln angegangen und letztlich gelöst. Dabei schreibt Jan Burke mit einer geradezu federnden Leichtigkeit. Direkt provokant unangestrengt, aber nie schal liest sich das Buch. So manche Metapher, so manches Motiv, so manches Empfinden transportiert sie gekonnt durch die Zeit und greift diese immer wieder auf. |
3. Thomas H. Cook, The City When it Rains: Ein wunderbar erzähltes Buch von einer Qualität, dass wieder und wieder ein entzücktes Lächeln über die Lippen des Lesers huscht, mit dem Regen als ständige Metapher die das Buch begleitet. Aber auch diese Stadt … in den Straßen wo die Bewohner kämpfen müssen und wir doch heute wissen, dass sie vermutlich verloren haben und diese Straßen gentrifiziert worden sind, strahlt eine innige Atmosphäre aus. | |
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4. Juan Damonte, Ciao Papa: Ciao Papa ist eine kurze Geschichte, die sich von einem fast gemütlichen Anfang in einen Rausch steigert: Wie eine Vorahnung der Hölle ist das, was der Protagonist sieht, als er durch die Müllberge der Stadt watet. Müllberge, die von den Schergen der Junta genutzt werden, um dort ihre Leichen zum Verbrennen abzuladen. Ciao Papa ist packend, tiefsinnig und kompromisslos. Mit Dialogen deren Sprache so gnadenlos ist wie die im Buch beschriebene Realität. |
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5. Brian Evenson, The Open Curtain: The Open Curtain ist kein Buch, welches sich in die gängigen Schemata für Krimis unterbringen lässt. Zwar gibt es ein Rätsel, dieses spielt jedoch keine wesentliche Rolle. Einzig die Person Rudd Theurer und ihr „Abstieg zur Hölle“ steht im Zentrum des Interesses: Selten hat man letzte 50 Seiten gelesen, die so packend, so intim eine psychische Innenwelt darstellen. Brian Evenson ist ein hervorragender Erzähler, der gänzlich unaufgeregt Dramatik erschafft und dessen Buch so ein wenig an die Kurzgeschichten Poes erinnert. |
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6. Allan Guthrie, Hard Man: Wie der Mongolensturm über Europa, wie Katrina über die Golfküste, wie Feuersbrünste in den Städten nach Bombenangriffen. Hard Man fegt über den Leser hinweg. Das Buch inszeniert Gewalt, wie es nur selten ein Buch tut. Gewalt so real und unscheinbar wie Gewalt nur sein kann, die in den Vorstädten vorkommt und die so leicht in der Zeitung zu überblättern ist. Das Buch ist witzig, lustig, überdreht. Dass ein Gekreuzigter auftritt und dieser Brian heißt, weist den Weg – und doch ist es kein Humorkrimi. Hard Man entpuppt sich auch stilistisch als des Autors Meisterwerk : Die Perspektive wechselt von Person zu Person, bis sie, in der Darstellung eines Drogenwahns, die für sich gesehen schon ein Schmankerl ist, bei zwei Personen gleichzeitig weilt, deren Sichtweisen ineinander geschachtelt parallel zu bestaunen sind. |
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7. Joe R. Lansdale, The Bottoms (deutsch: Die Wälder am Fluss): The Bottoms entfaltet eine archaischen Geschichte, die sich auf die lokalen Mythen und Sagen Texas‘ bezieht und somit auch mit den Ängsten des Protagonisten “spielt”, einen zutiefst humanistischen Kern hat, wunderbar (ach was: wunderbarst) im Stille eines Geschichtenerzählers vorgetragen ist und natürlich dem “Volk” auf Maul schaut. |
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8. Jim Nisbet, Dark Campanion: Ein so undemonstrativ kluges und witziges Buch, das einem solch einen Reichtum an Gedanken zu bieten hat, stimmig aufgebaut und doch von leichter Hand vorgetragen ist, gibt es selten. Dark Companion ist ein „Philosophic Noir“, die Vermählung einer dem Prinzip der freien Assoziation folgenden Erzählung mit einer noir-Kurzgeschichte. Eine deutsche Ausgabe des Buches folgt. |
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9. Nancy Pickard, The Virgin of Small Plains (deutsch: Schneeblüte): Das Buch erzählt von den Sünden der Väter, die die Lebensplanungen der Kinder zerstören, spielt in einer Kleinstadt in den USA und zeigt die Narben, die nach vielen Jahren wieder aufbrechen, wenn aus jenen Kindern Erwachsene geworden sind. Geschrieben im Stil eines Cozys, überzeugt es durch seine reiche Sprache. Dabei zeichnet Pickard ihre Personen glaubwürdig und stimmig, mit ihnen sympathisierend, aber nur da auch sympathisch, wo es passt. Diese Personen sind es, die dem Buch Herz und Tiefe geben. An Ihnen lässt sich aber auch der Wandel der Zeit festmachen. |
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10. Nick Stone, Mr. Clarinet (deutsch Voodoo): Ein großes Leseereignis, das sich zwischen Weltuntergangsstimmung in einem zerfallenen Land, spannender Darstellung der Gewaltbereitschaft im Sumpf der Armut und euphorisierender Atmosphäre des Voodoo Kultes bewegt und von Aufbau, Darstellung und erzählerischer Qualität überzeugt; auch seine Personen haben die nötige Glaubwürdigkeit und die literarische Exaltiertheit: Für einen Erstling hat es geradezu eine atemberaubende Qualität. |
11. Cathi Unsworth, The Not Knowing (deutsch: Die Ahnungslose): Eine Geschichte die zwischen den Kneipen Londons, der kulturellen Undergroundszene und den Exzessen eines Unglücklichen angesiedelt ist. So gekonnt atmosphärisch das Buch anfängt so verstörend gewaltsam endet es. Mit einer Frau in der Hauptrolle, deren Schuldzuweisungen an die eigene Person, an Ken Bruens Jack Taylor erinnern. | |
12. Charlie William, Fags and Lager : Voller proletarischer Philosophie, weiser Beobachtungen über eine Kultur, die vor die Hunde geht und mit intensiven Bildern ( „There’s a hole between his shoulders like a horse pissed for half-hour in the snow.“) ist Fags and Lager einer der wenigen Krimis, deren Humor nicht eskapistische Sehnsüchte befriedigt, sondern der angemessenen Darstellung einer miserablen Welt dient. | |
Nun habe ich von diesem Ken Bruen ein Interview und ein Stück story gelesen und it is not as bad as expected. In fact, it is almost good writing, except for somebody like me who reads less than a book a year and reads the same book five times or six or more. There are very few books that can take that kind of use.
Anyway, I think I have learnt something here.
Thank you very much.
You are welcome,
if you care, you can take a look at his blog entries at murderati (-> here you go) which demonstrate his stylistic quality.
Hallo bernd,
du schaffst es immer wieder, mich für den Autor Ken Bruen zu interessieren; insbesondere für dessen Jack Taylor Serie. Und immer wieder stelle ich mit Bedauern fest, dass – bis auf zwei sehr alte – immer noch keine Übersetzungen seiner Bücher zu finden sind.
Hast du irgendeine Ahnung, wieso sich kein Verleger für diesen in anderen Ländern (auch kommerziell ?) erfolgreichen Autor findet?
Gruß
thomas
Hallo Thomas,
nein, ich habe definitiv keine Ahnung, weswegen Bruen in Deutschland nicht zum Zuge kommt. Sicher ist er schwierig zu übersetzen (weniger wegen des Wortumfangen, mehr wegen seiner poetischen Qualität), aber es wird doch wohl ein Übersetzer geben, der das hin bekäme.
Die Tatsache, dass Unsworth‘ Buch auf Deutsch erscheint, macht mir irgendwie Mut. Ihr Buch ist eigenständig, aber die Hauptperson atmet auch diesen taylorischen Geist.
Ich kenn‘ Ken Bruens Verkaufszahlen nicht, aber in einem Interview bekennt er, dass er mit seiner wirtschaftlichen Situation sehr zufrieden ist (vermutlich ist er auch bescheidener als Patterson). In einem anderen Interview sagte er, dass es in jedem Land ein anderes Buch war, welches zu guten Verkaufszahlen führte, demnach vermute ich, dass er ordentliche Verkaufszahlen vorzuweisen hat. In Frankreich zum Beispiel liegen die meisten Bücher übersetzt vor.
Sein Einfluss auf die jungen Autoren (nicht unbedingt in deren fertigen Arbeiten, als spiritus rector) in Britannien und USA scheint mit enorm zu sein. Ich kenne keinen Autor der von anderen Autoren so viel Lob erfährt und der so viel Begeisterung entfacht wie Bruen.
Sei sicher, sobald ich erführe, dass ein Buch Bruens in Deutschland erscheint, erzähle ich hier darüber.
Beste Grüße
bernd
!!!
It’s really nice of you to recommend other people’s blogs and writings the way you do. That is rare, you know?
I went and looked and I have started to read. I see what you mean. However, I think that in the English language there is a lot of good writing everywhere, even in the newspapers.
Hallo Bernd,
ein Michael Zöllner, der schon „motherless brooklyn“ von Jonathan Lethem zum Verlieben schön hinbekommen hat, wäre da sicherlich als Übersetzer geeignet.
(vielleicht bringt das hier ja jemand auf eine vorweihnachtlich beseelte Idee …)
Gruß
thomas
(der sich mit Unsworth, Stone und C.J.Box beschenken lassen wird)
Wann soll ich das denn alles lesen, Mensch!
Danke für die tollen Empfehlungen. Ich fange mit Nick Stone an.
Lieber Georg, Du gehörst zu den wenigen Menschen, deren Buchgeschmack ich nicht deuten kann (er orientiert sich vermutlich einfach an Churchills Vorgaben), ich bin deshalb gespannt wie viele Seiten Stone bei Dir durchhält.
Der Stone, sehe ich gerade, ist seit fünft Wochen auf der Spiegelbestsellerliste und fängt jetzt an zu fallen.
Lieber Thomas, „Motherless Brooklyn“ hätte es vor ein paar Jahren auf diese Liste gebracht. Das Buch ist sicher auch schwierig zu übersetzen gewesen, ob ich es jetzt unter Krimi wegsortieren würde … wüsste ich jetzt gar nicht ‚mal. Aber dieses Fass will ich lieber nicht aufmachen.
Dear Cantueso, I like to read crime-fiction and someone like Bruen is in this genre as frequent as a saberthooth in the zoo.
Beste Grüße Euch
bernd
Es geht ja nicht um den genre. Auch dachte ich soeben an „Crónica de una muerte anunciada“, auf deutsch etwa: „Chronik eines angesagten Todes“. Da wird vom Mord, wie jedermann im Dorf ihn kommen sah; wie selbst das halbe Dorf es vernahm, als am frühen Morgen die Messer geschleift (geschliffen?) wurden auf dem Markt; Gabriel Marquez heisst der Autor; das galt doch als Literatur?
sorry.
Es fehlt: da wird vom Mord erzählt… aber eigentlich, der Mord wird rekonstruiert aus dem, was jedermann im Dorf kommen sah,…
deutsches Spragg, swere Spragg
Was für ein Churchill? Was für Vorgaben? Erkläre dich (und mir) bitte.
Das habe ich jetzt davon:
Ich wollte das Zitat noch überprüfen, wurde aber vom Computer weggeholt. Das Zitat ist natürlich von Oscar Wilde:
„Ich habe einen ganz einfachen Geschmack: Ich bin immer mit dem Besten zufrieden“
Hätte aber zu Churchill auch gepasst.
Beste Grüße
bernd
Genau.